[Allegro] Think "Different" war: VuFind 2.3 : Neue Implementierung wird vorbereitet
Bernhard Eversberg
ev at biblio.tu-bs.de
Mo Aug 18 09:18:41 CEST 2014
Herr Gödert schrieb:
> Der im zweiten Teil der Bezugsmail von Herrn Eversberg angerissene
> Diskussionsgegenstand ist von so allgemeiner Bedeutung, dass ich mich
> traue, ohne jeden Allegro-Bezug ein paar quere Gedanken beizusteuern.
Quergedanken stehen hier seit je hoch im Kurs, und welche aus berufener
Feder sind allemal hochwillkommen! Ein allegro-Bezug ist nie weit
entfernt, wo es um Katalogisierung geht.
Über Bibliotheken hält sich bei Außenstehenden, also bei fast allen,
das gepflegte Vorurteil, es gebe dort auch in den Besten nichts Neues.
Allzumal über Katalogfortschritte dürfte kaum jemand, unvorbereitet
gefragt, irgendeine zutreffende Auskunft geben können.
Zu Zeiten, als man an magazinierte Bücher, also an fast alle, ohne
Katalog nicht herankam, und ohne Sachkatalog nicht selten sogar ihrer
Existenz nicht gewahr wurde, mag die Wahrnehmung des Katalogs ein
wenig anders gewesen sein, aber man weiß es nicht.
Müßiges Räsonieren beiseite, ist heute zu konstatieren, daß es dem
Außenstehenden schlichtweg kaum noch möglich ist, den Katalog einer
Bibliothek als Instrument mit eigenem Gesicht zu erkennen. Daß es
so gekommen ist, verdankt sich nicht in erster Linie den Bibliotheken,
aber immer mehr Bibliotheken tragen eifrig immer mehr dazu bei.
Nicht erst in Bremen - wir berichteten - konnte man erfahren, daß
die eine oder andere Bibliotheks-Homepage zu einem Portal mutiert,
hinter dem ein Discovery-System steckt: Fast alles, was jemand von der
Bibliothek wissen wollen könnte, braucht er nicht in einem Gestrüpp von
verschachtelten Webseiten aufzuspüren, sondern kann es ausgeworfen
bekommen durch Einwurf geeigneter Wörter (Öffnungszeiten, WiFi,
Toiletten) in einen seit Kindesbeinen vertrauten Suchschlitz. Und die
Bücher eben auch. Lästig nur, daß manche immer noch nur als physische
Objekte und mit Glück zu kriegen sind, aber zunehmend sind PDFs oder
andere Sachen mit Direktzugriff mit im Angebot zum fraglichen Thema.
WENN man denn mit einer Suche wirklich bei einer Bibliothek ansetzt.
Gewiß, die Katalogdaten sind alle noch da und spielen in diesem
Szenario keine unwichtige Rolle. "Der Katalog" aber, als erlebbare
Entität sui generis, der soll nicht mehr im Weg stehen. Der war eh als
solcher doch nur für die Katalogisierenden das Ziel, für alle anderen
war er nur Wegweiser. Und stehen nicht Wegweiser längst nutzlos rum
weil jeder nur auf sein Navi *hört* und ihm das Ziel *sagt*, nicht
*eintippt*? Überspitzt möchte man fast meinen, als Ziel werde ein
Suchsystem für Analphabeten angepeilt. Enthüllt sich nicht erst so der
ultimative Sinn der Frage "Wozu noch alphabetische Ordnung?" Solche
Erfahrungen müssen Appetit auf mehr machen, müssen Ungeduld schüren mit
hergebrachten Betulichkeiten, wie es Kataloge sind.
Etwas anders gewendet: Informationssuche mag komplexe Systeme erfordern
und die Gegenstände *sind* schwierig, nach denen zu suchen ist; aber
das Suchen als solches, das soll unbeschwerlich werden, das soll frei
von Wissenserfordernissen sein, wie etwa der Kenntnis des Alphabets.
Das mag aber ein Nebenaspekt sein im globalen kulturtechnischen
Paradigmenwandel, also bitte nicht überbewerten.
Nicht schon gleich bis zur Demission, aber den nächsten Schritt in
diese Richtung schickt man sich in Utrecht zu gehen an:
http://www.researchinformation.info/features/feature.php?feature_id=462
unter dem nur rhetorisch fragenden Titel: "Time to call time on the
library catalogue?". Und wenn man sich die Homepage daraufhin anschaut:
http://www.uu.nl/university/library/EN/Pages/default.aspx
und nach dem Katalog sucht, wird man ihn zwar jetzt noch, sehr
unaufdringlich, finden, aber das soll sich noch ändern.
Der zitierte Beitrag ist lesenswert, deshalb soll hier nicht viel
referiert sein, nur: Viel steht drin über die Vorteile von Google,
doch über Eigenschaften oder gar Vorteile von Katalogen nichts. (Je
nun, warum auch - wir Fachkräfte erführen ja nichts Neues.)
Im Beitrag liest sich's, als sei der Katalog schon ausgemerzt, doch
ist diese Stufe offenkundig erst noch zu erklimmen.
Aber man *findet* Bücher, es ist doch wahr, und findet sie schnell und
erfährt allerhand über sie, mittels Google oder Amazon, und man findet
da auch ganz oft und immer öfter *ohne* Bücher genau die Fakten, um
die's einem grade geht. Denn um die Dokumente als solche, machen wir
uns nichts vor, geht's nur in eher seltenen Fällen! [Es ist aber,
muß man das immer noch sagen?, gar nicht so, daß Kataloge und Google
erbitterte Konkurrenten sein müßten oder das eine sich am andern zu
messen und jedes Selbstbewußtsein aufzugeben hätte. Es gibt
selbstredend eine Schnittmenge, die ist aber weit weniger als
identisch mit der einen oder der anderen.]
Je nun, was tun?
Wird womöglich bald die Rolle des Bibliothekskatalogs verkürzt auf die
eines Inventars, das nur noch Auskunft zu geben braucht über Standort
und Verfügbarkeit und als Hilfsmittel dient für Geschäftsgänge, incl.
Verwaltung der Lizenzen - um die sich aber kein Endnutzer einen
Kopf zu machen hat?
Wird womöglich der Bibliotheksbestand zur eisernen Reserve, auf die man
widerwillig zurückzugreifen nur gezwungen ist, wo alle Stricke reißen?
Soweit kommt's wohl vorläufig noch nicht. Etwas anderes ist wichtiger:
Die Discovery Systeme, und das gehört zu den attraktivsten Leistungen,
können endlich auch Zeitschrifteninhalte mit in die Suche einbeziehen.
Das war in UBs immer ein unerfüllbares Desiderat, für deren Nutzer
ein Ärgernis. Nur ganz wenige Spezialbibliotheken konnten es leisten,
etwa die Bundestagsbibliothek oder die Weltwirtschaft in Kiel. WENN das
aber mittels Discovery gelingt, dann müssen Katalogdaten koexistieren
mit andersartig verregelten oder auch ungeregelten Daten, dann
relativiert sich die Bedeutung penibler Katalogisierung.
Nicht unmöglich scheint mir, daß nicht nur - wie es die DFG nun will -
alle Verbunddatenbanken zu einer verschmelzen, sondern daß darin gleich
die lokalen Kataloge mit aufgehen, mitsamt der Zeitschrifteninhalts-
daten, die ja ohnehin keinen ganz festen Bezug zu Lokalbeständen haben.
Wenn ich das CBI-Projekt nicht falsch verstehe, peilt es in eben
diese Richtung.
Ein dergestalt vereinigter Universalkatalog wäre ja noch immer von weit
geringerem Umfang als der Datenbestand von Google, also gar nicht utopisch
gigantisch. Die Lokalität wäre darin eine Facette neben anderen! Wenn
dies zum Tragen kommt und allgemein erschwinglich wird, dann schwindet
nebenbei vollends die Existenzberechtigung von etwas wie allegro. (Bis
auf Projekte, die in der neuen Datenwelt nicht unterkommen können.)
Aber auf eine Frage sollten wir gefaßt sein:
Braucht's noch Katalogisierung, und 1000seitiger neuer Regeln dafür,
wo kein Katalog mehr ist? Laienhafte Frage, ganz klar, aber eine, die
doch manchem unbedarften Entscheidungsträger auf der Zunge liegen mag.
Klangvolle Namen, RDA und FRBR und BIBFRAME im Verein mit LOD und RDF
und cloudbasierter Infrastruktur werden dann schon alles richten? In
alledem kommt schließlich das Wort "Katalog" gar nicht vor.
Das wird spannend.
B.E.
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