Handbuch als Hypertext

Hans Wagner 100412.3613 at compuserve.com
So Jul 30 18:40:25 CEST 1995


In den allegro news Nr. 34, im vergangenen Sommer, schrieb B. E., sie sei
"kein Organ fur Kulturkritik". Verfolgt man die Handbuch-Diskussion der ver-
gangenen Woche, merkt man, wie schnell man sich bei allegro trotz allem 
in Kultur- und Gesellschaftskritik findet!

Aus aktuellem Anlass sei gestattet, zum Ausgangspunkt zurueck zu kehren
und einen weiteren Gedanken ins Spiel zu bringen. "Hypertext? Das hat noch
gefehlt!" um dieUeberschrift von news 37 abzuwandeln, wobei der Ausruf 
dann wohl von den Braunschweiger Entwickler kommen wuerde -  oder irre 
ich mich, was beinahe zu schoen waere?

Um gleich aufs Ganze zu gehen: "Handbuch als Hypertext" war nur als kurzes 
Re:  gedacht, es soll de facto heissen: "Handbuch  p l u s  Hypertext".
Vorbild: 
die (an sich ja nur bedingt vorbildliche) RAK-WB, ganz  e r h e b l i c h  in
ihrer
Handhabung aufgewertet durch den vor etlicher Zeit auf Diskette ausgeliefer-
ten Hypertext. Das m.E. so Wesentliche daran ist, das er die Moeglichkeit bie-
tet, eigene Kommentare abzuspeichern, die erhalten bleiben, auch wenn eine
neue Version eingespielt wird. Frau Tews' (wie sie ihn nennt) "hausbackener"
Hinweis, der (inzwischen ohnehin bereits ganz zerknirschte Kollege)  Lackhoff
moege, statt sich die Muehe des Einlegens eines neuen Blattes in ein "Ring-
handbuch" zu machen ("weil es da eine kleine Ergaenzung von einer Zeile 
gab"), die Ergaenzung mit Hand in sein altes Buch zu schreiben, waere bzw. 
ist hier ideal geloest. Denn neben eigenen Kommentaren koennten Neuerun-
gen zwischenzeitlich gespeichert (und bei entsprechender Programmierung 
nach Erscheinung einer neuen Ausgabe automatisch entfernt) werden.

Die ganz wesenliche Frage ist natuerlich die des Aufwandes. Dass der Auf-
wand fuer eine Loseblattausgabe schon beim Erzeuger sehr hoch ist, ist eben-
so bekannt, wie der gar nicht geringe Aufwand beim Kaeufer. Meine aelteste 
eigene einschlaegige Loseblattausgabe ist die der "RAK-Anwendung in der
Deutschen Bibliothek"in ihrer 2., neubearb. Aufl. von 1982, zu der nie eine Er-
gaenzungslieferung gekommen ist. Dem Benutzer blieb zwar dadurch die 
Muehe des Einordnens erspart, der Stand von 1982 wurde aber verstaendli-
cherweise immer unaktueller und man hatte immer nutzloser einen Ringbuch- ordner
herumstehen, der wenigstens bloss 26 cm hoch und 5 1/2 cm breit war.

Der Gedanke an eine Loseblattausgabe des allegro-Handbuchs war vor einem
Lustrum bereits in Braunschweig erwogen worden, "evtl. als Loseblattausgabe"
steht in den a-news Nr. 19 im Zusammenhang mit der Frage des Handbuch-
Formats (Format im Sinn von Buchrueckenhoehe).  Man mus B. E.  ohnehin das
grosse Verdienst zugestehen, sich darueber Gedanken gemacht zu haben. Als
beinahe schon bibliophile Raritaet bewahre ich noch das ungebunden aus A4-
Blaettern bestehende "Volaeufige Handbuch" vom Marz 1986 auf, einem Vorab-
druck eines geplanten neuen Handbuches und bloss aus den Kapiteln 3 ("Da-
tenerfassung, incl. Redigieren") und 5 ("Kategorienschema mit Erlaeuterungen 
zur Erfassung) bestehend -  damit aus dem, was einfache Benuetzer fuer den
Anfang brauchen, nur leider nicht einfach genug gebracht...  Dann gab es die
Handbuecher im A4-Format und (dankenswerterweise ohne steife Deckel) ge-
gebunden, danach, um es noch handlicher im Gebrauch zu machen (zumindest kann
ich, liebe Frau Koczian, nicht glauben, dass der Entschluss durch eine
Ophthalmologen-Lobby beeinflusst war), die Zehner- Version im A5-Format und
dann, nach den bereits erwaehnten, in a-news 19 ventilierten Ueberlegungen, 
das Handbuch in seinem jetzigen Format.

Die Diskussion ist zuletzt schon unter dem Motto "Deutsche - Amerikaner" ge-
laufen. Ich meine, allein schon "Deutsche - Deutsche" gibt genug Diskussions-
stoff, dabei nicht einmal noch das Ossi-Wessi-Problem gemeint, das hier frei-
lich unvermeidlich hereinkommt.. Im Osten gab es die RAK in vier weich gebun-
denen Banden, kein Augenpulver, dafuer ein pulmologische Gefahrenmoment dank der
beruechtigten Inland-Qualitaet des Papiers. Anders in der westlichen
Wohlstandsgesellschaft!  Schon die gruenen Baende der RAK bzw. RAK-WB, 
sub specie aeternitatis in Wiesbaden publiziert,  waren "eine Wucht", praechti-
ge harte Ganzleinenbaende, bestes Papier im Inneren, und natuerlich mit
Randausgleich und Proportionalschrift gedruckt (ein raffinierter Trick, den Su-
chenden dazu zu bringen, den Text genau zu studieren, um herauszubekom-
men, ob nun vor bzw. nach einem bestimmten Zeichen ein Leerschritt zu setzen
sei oder ob ein vermeintlicher solcher bzw. scheinbar fehlender solcher bloss 
auf die typographische Gestaltung zuruckzufuehren waere?)  Zum Unterschied
vom flexiblen allegro-Handbuch war und ist an ein einfaches Blaettern ohnehin 
nicht zu denken, man musste einen Platz auf dem Arbeitstisch freihalten.

Aber das war noch gar nichts gegen die neuen Loseblattausgaben, die sich 
durch  g a n z  besondere Monumentalitaet und Benutzerferne auszeichnen: RAK-WB
und, was die RSWK anbelangt, die "Praxisregegeln zu den RSWK ..." 
der Die Deutsche Bibliothek. Schon mal in der Hand gehabt? Dann werden Sie 
die neue Hypertext-Ausgabe besonders schaetzen koennen!  (Noch zur RAK-
WB-Loseblatt-Ausgabe: Grundwerk datiert mit Juni 1994, Stand der 1. Erg.-Lfg.:
August 1994, ausgeliefert wurde sie Ende Marz 1995, zusammen mit dem
Gesamtregister, das seit Jahren angekuendigt war. So lange also hat es ge-
dauert, bis den Wessis (und uns Oesterreichern) ein wirklich brauchbares Re-
gister  geboten wurde.  B. E., der ueber den Gartenzaun nicht zuletzt auch in
Richtung Ost geblickt hat, bringt seit Jahren im Literaturverzeichnis die neue
(= letzte) DDR-Ausgabe der "Regeln fuer die alphabetischen Kataloge" mit einem 
entsprechenden Hinweis auf das Register, das dem jetzt endlich auch fuer die
WB-Ausgabe erschienenen Register zugrunde liegt (im Handbuch zur Ver. 14
steht der Hinweis auf S. 306).   Wessis, die auf das vertrauen, was im Hiller 
("Woerterbuch des Buches", bei Klostermann, dem Verleger unserer guten 
alten Tante ZfBB,  in bereits 5. Aufl. erschienenes Standardwerk) steht, haben
keinen Grund, daran  zu zweifeln, dass nicht der "Verein Deutscher  Bibliothe-
kare e.V. die RAK geschaffen" hat, gibt doch der Zusatz "e.V."  der Behauptung
einen besonderen Anstrich von Authentizitat (ich moechte das gar nicht infam
nennen, es ist bloss ein Ausdruck der aus Desinteresse oder Bequemlich-
keit erwachsenen voelligen Unkenntnis dessen, was sich auf bibliothekari-
schem Gebiet all' die Jahre hindurch im  - wie es so schoen hiess -  anderen
Teil Deutschlands tat). Moeglicherweise Im Zuge einer Kosten-Nutzen-Rech-
nung hat man zudem in der Loseblattausgabe der RAK-WB das in der gebun- denen
RAK-WB Ausgabe enthaltene Vorwort weggelassen (wo naemlich we-
nigstens kurz auf die Entstehungsgeschichte des Regelwerkes hingewiesen
wurde), so dass man im wiedervereinigten Vaterland heute umso unbelasteter 
von bibliotheksgeschichtlichem Wissen (und von tieferem Verstaendnis fuer
diejenigen  Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten, die mit Katalogisierung 
zu tun gehabt hatten und haben) leben kann.   -  Jetzt schon selbst laengst mit-
ten in Kultur- und Gesellschaftskritik, wage ich als Draufgabe sogar noch eine
Schleichwerbung:  "Die vertane Chance RAk-WB und die deutsche Einheit : ein
Oesterreicher nimmt Stellung", BIBLIOTHEKSDIENST 1991, H. 3, S. 346 - 353. 

Mit schoenen Gruessen aus Wien 

Hans Wagner

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