[Allegro] Vb.335 : FOLIO-Erkenntnisse - und was "allegro" dazu sagen kann

Armin Stephan armin.stephan at augustana.de
Di Apr 27 12:33:18 CEST 2021


Lieber Herr Eversberg, liebe Kolleg*Innen,

was mir auffällt bei Folio und den Folien:

1. Was man heute von Folio schon sehen kann, sieht eher bescheiden aus. 
Optisch ist Folio gewiss kein großer Wurf.

2. Die Entwicklung/Anpassung geschieht bei den Verbund-Zentralen von HBZ 
und GBV. Das scheint mir doch ein gewaltiger Unterschied zu sein zur 
Geschichte des Entstehens von Allegro.  Die "Anwender" sind ihrerseits 
große Bibliotheken mit reichlich IT-Personal. Allegro war - vor allem am 
Anfang - so, dass zumindest der ambitionierte Anwender die Möglichkeit 
hatte, das System zu "beherrschen" und aktiv zu beeinflussen. Daraus ist 
nach und nach eine Anwender-Community erwachsen. Was ich bei der 
Folio-Veranstaltung sehe, kommt mir eher wie eine Spezialisten-Community 
vor. Hier ist das technische Niveau von Anfang an sehr hoch und nur 
wenigen zugänglich.

3. Die Test-Implementierungen sind sehr speziell. Weit entfernt von 
einem "klassischen" Bibliothekssystem.

4. Die Folientexte, auf die Sie verlinkt haben, beschreiben in der Regel 
(komplexe) technische Zusammenhänge (für Insider).Wo sind die 
bibliothekarischen Fragen? Kann man z.B. mit Folio (gut!) 
katalogisieren? (Oder wird es dabei bleiben, dass man damit 
elektronische Ressouren verwalten kann wie bei den Testanwendungen?) Wie 
ist generell das Handling und die Ergonomie?


Ich sehe folglich - abgesehen von den grundsätzlichen konzeptionellen 
Überlegungen zur Arbeitsweise und Flexibilität moderner IT-Systeme, bei 
denen Sie Parallelen sehen (Trennung von Programmen und 
Anwendungsskripten) - überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen Allegro und 
Folio. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass Folio ein wirklicher 
"Nachfolger" von Allegro sein könnte - insbesondere für kleinere 
Bibliotheken. (Außer vielleicht, es kostet - wie Allegro - [fast] 
nichts.) Mit einem solchen System zu arbeiten, ist einfach ein ganz 
anderes Feeling. Bei Allegro war die Grenze zwischen Anwender und 
Entwickler immer fließend. Gerade das hat den Umgang mit Allegro 
spannend und für manchen unter uns reizvoll gemacht. Bei Folio sind 
diese Rollen klar getrennt.

Jedes Bibliothekssystem ist flexibel und kann angepasst werden. Die 
Frage ist nur: Von wem? Und: Will es derjenige, der es tun könnte, wenn 
man es nicht selber kann?

Wer ein System anwenden möchte, das er kaum bis nicht mehr beeinflussen 
kann, kann jedes auf dem Markt befindliche System in Erwägung ziehen, 
das den Weg in die Cloud nicht verschlafen hat. Folio mag nicht von 
einer kommerziellen Firma wie ExLibris oder OCLC vermarktet werden. Aber 
das macht in der Nutzung keinen garantierten Unterschied.

Eine Randbeobachtung noch:
Folio hat ja nun auch ein Geschwisterchen namens Koha. Auch Koha ist ein 
OpenSource-System, das von einer Verbundzentrale, dem SWB, adaptiert 
wurde. Das geschah schon vor ein paar Jahren, weshalb Koha schon ein 
paar Jahre im Einsatz ist (z.B. bei der Hochschule für Jüdische Studien 
in Heidelberg, die meines Wissens der Erstanwender in Baden-Württemberg 
war). Anders als bei Folio zielte die Intention beim SWB allerdings 
immer auf die Verfügbarmachung eines Bibliotheksverwaltungssystems für 
(nicht so wohlhabende) Bibliotheken. Bei Folio sehe ich jetzt 
"Spezial"-Anwendungen, die nicht im primären Interesse von 
Allegro-Anwendern sein dürften. Klar hätte man mit Allegro immer auch 
schon eine Datenbank für KFZ-Teile aufbauen können, aber wer hat das getan?


Am 26.04.2021 um 19:43 schrieb Bernhard Eversberg:
> Verlautbarung 335 zur allegro-Entwicklung 2021-04-26 
> ----------------------------------------- FOLIO : Wichtige 
> Erkenntnisse - und was "allegro" dazu sagen kann 
> ----------------------------------------------------------------- Die 
> Papiere zur rezenten FOLIO-Veranstaltung: 
> https://www.folio-bib.org/?page_id=1189 und 
> https://www.folio-bib.org/wp-content/uploads/2021/03/Folio-Tage-2021-FOLIO-als-Plattform.pdf 
> plakatieren am Ende acht Maximen, die wohl auch in anderen Kontexten 
> schon aufgefallen sind. An dieser Stelle sei kurz kommentiert, wie es 
> speziell im allegro-Kontext aussieht mit diesen Maximen, hier mit M1 - 
> M8 numeriert: ("allegrologen" wissen das schon alles) M1. Es gibt 
> keine Rundum-Glücklich-Lösungen für ILS aus dem Fertigprodukte-Regal 
> (ILS = Integrated Library System) Das war noch nie so und auch FOLIO 
> wird daran wohl nichts ändern. Es gibt aus Nutzersicht immer zwei 
> Aspekte: a) Das System ist unvollständig - für uns wichtige Funktionen 
> fehlen b) Das System ist "anders" - An einigen Stellen arbeitet es 
> anders, als wir's brauchen Im allegro-System wurden viele, z.T. sehr 
> umfangreiche Funktionen mit Hilfe von FLEXen geschaffen, die 
> anwenderseitig beliebig änder- und erweiterbar sind, ohne Eingriffe in 
> die eigentlichen Programme. Ausleihe, Erwerbung und 
> Zeitschriftenverwaltung wurden komplett so realisiert. M2. Egal 
> welchen Weg man wählt, man wird mindestens in 
> Schnittstellenentwicklung investieren müssen Man hat zu unterscheiden 
> zwischen a) Offline-Schnittstellen, vor allem zur Umwandlung von 
> Fremddaten, und b) Funktionalen Schnittstellen zur Nutzung fremder 
> Dienste online im Programm Datenwandlung gab es schon früh in Gestalt 
> des Import-Programms und seiner eigenen Import-Sprache. a99 und acon 
> dagegen machen auch hier Gebrauch von FLEX, um z.B. Update-Daten an 
> VuFind zu senden oder per Z39.50 Datenätze online aus Fremdquellen zu 
> besorgen und sofort im eigenen Format zu präsentieren. M3. Die 
> Anforderungen an digitale Systeme werden komplexer und verändern sich 
> a) Daten-Komplexität : In allegro erweitert man die .cfg und relevante 
> Parameter, die Programme bleiben unberührt. b) Funktionale Komplexität 
> : FLEX ist stets zu Diensten, um neue Funktionen zu schaffen und um 
> mit externen Programmen und Diensten mittels "call" und "pipe" zu 
> kommunizieren. Ausgereizt ist dieses Potential noch keineswegs. 
> (Gelegentlich ist die Frage wichtig, ob und wo Komplexität auch 
> kontraproduktiv oder übertrieben sein kann.) M4. Die Anforderungen 
> lassen sich nicht mehr durch *ein* System bewältigen, sondern vielmehr 
> durch eine Kombination spezialisierter, aber miteinander integrierter 
> Systeme Hierbei gilt F3 b) entsprechend Natürlich kann man auch mit 
> externen Modulen, z.B. in Perl oder PHP programmiert, geschickt 
> hantieren. Direktzugriff auf alle Elemente und Daten einer allegro- 
> Datenbank von außen geht allerdings nur mit FLEX. Ein kleines 
> Hilfsprogramm namens flex.exe gestattet es aber, Befehle an ein 
> laufendes a99 zu senden, auch mittels pipe, und dann dessen Output zu 
> empfangen und zu verwenden. M5. Dezentralisierte serviceorientierte 
> Architekturen sind flexibler und damit zukunftsfähiger als 
> monolithische Systeme Va bene, das fällt allerdings mit unter F4. 
> (allegro ist nicht monolithisch) M6. Ein API-Layer schafft eine 
> gemeinsame Abstraktionsebene (Plattform), auf der dezentrale Dienste 
> aufsetzen und miteinander vernetzt werden können "API" buchstabiert 
> sich bei allegro als "FLEX": a) Dezentrale Dienste brauchen nur zu 
> wissen, wie sie mit FLEX Daten aus einem allegro-System abrufen können 
> b) Das allegro-System braucht nur zu wissen, mit welchen Aufrufen es 
> Daten an ein System übermitteln kann (z.B. Update-Daten an VuFind) 
> bzw. wie es Daten aus einem Fremdsystem mittels Aufruf eines externen 
> Programms abrufen kann c) Und andere Dienste? Wie können die von 
> allegro profitieren? Das wurde thematisiert in 
> https://bibservices.biblio.etc.tu-bs.de/pipermail/allegro/2020-July/042871.html 
> mit Verweis auf http://www.allegro-b.de/db/demo/extax.htm ("Wie kriegt 
> man aktuelle allegro-Daten in eigene Webseiten rein?") M7. Expertise 
> ist vorhanden! Sie in ein gemeinschaftliches Projekt einzubringen, 
> stärkt nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch die eigene Expertise 
> Die allegro-Entwicklung und -Community haben Jahrzehnte von der 
> Expertise kundiger Anwender profitiert, und von den Anregungen, die 
> daraus hervorgingen. Das Mail-Forum und eine Serie von Expertentreffen 
> haben dazu beigetragen. M8. Engagement hat positive Effekte auf die 
> Entwicklung des eigenen Personals in vielerlei Hinsicht: - Erwerb 
> digitaler Kompetenzen, - Projektmanagementfertigkeiten und Data 
> Librarian Skills, - Identifikation mit einem Produkt, das man selbst 
> mitgestaltet hat, - aber auch "positives Scheitern". Viele 
> allegro-Anwender haben es gewürdigt, eine Menge gelernt zu haben aus 
> der Anwendung des Systems, kombiniert z.B. mit eigenen Ideen und der 
> Anwendung der Import-und Export-Sprachen, bis hin zur Konstruktion 
> eigener Konfigurationen mit allem drum und dran. "Positiv" ist ein 
> Scheitern wohl dann, wenn es nützliche Neuerungen und Verbesserungen 
> auslöst. Seit gut 2 Jahren ist nun allerdings im allegro-Umfeld kein 
> Scheitern mehr bekundet worden, das nach Änderungen in den 
> ausführbaren Programmen verlangt hätte, also a99, acon, srch, import, 
> index, qrix. Unter Windows und Linux sind diese Programme folglich 
> seitdem völlig stabil. Es gab nur immer noch mal Verbesserungen an 
> FLEXen und Parametern, dokumentiert in den "Verlautbarungen". (Um die 
> Übersicht zu sehen, in a99 eingeben: view vb ) Ist mit dem Ende des 
> Scheiterns auch das Verbessern am Ende, oder ist das Produkt "allegro" 
> nun unverbesserlich gut? Das zwar, aber es ist aus der Mode - man 
> braucht neue, zeitgemäße Herausforderungen. FOLIO bietet davon ein 
> üppiges Füllhorn. Mit alledem soll nicht etwa gesagt sein, allegro 
> könne auch heute noch, wie dazumal in den Neunzigern, den quanti- und 
> qualitativen Anforderungen eines großen Hochschul-Umfelds gewachsen 
> sein. Zwar gibt es Datenbanken mit zig Millionen Sätzen, aber damit 
> allein wär's denn doch nicht getan. Umgekehrt ist noch offen, wo quasi 
> die "untere Grenze" liegt, oberhalb derer ein hoch- anspruchsvolles 
> Gebilde wie FOLIO unterm Strich gewinnbringend zum Einsatz kommen 
> könnte. Und wenn ja, wann. B.Eversberg 
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Mit freundlichen Gruessen
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