[Allegro] Der Blick nach vorn : 1. Das Umfeld
Bernhard Eversberg
ev at biblio.tu-bs.de
Di Jun 10 14:06:43 CEST 2014
Der Blick nach vorn: 1. Das Umfeld
Ausgehend von "Bremen" wollen wir versuchen, einige Denkanstöße zur
Einschätzung des Systems "allegro-C" und insbes. sein Potential für
gegenwärtige Anforderungen, seine Zukunftsfähigkeit und auch zu
denkbaren Alternativen und Migrationen zu formulieren. Dies alles,
um Anwendern Hilfestellung für Entscheidungen zu geben, ausreichend
lange bevor diese konkret getroffen werden müssen. Denn reibungslos
laufen kann "allegro", so wie es ist, noch mit Sicherheit länger als
fünf Jahre.
Teilen Sie dazu bitte Ihre eigenen Erkenntnisse und Ansichten mit,
evtl. an mich direkt, damit wir zu einer realistischen Bewertung
kommen können, was die Zielsetzungen für "allegro" betrifft.
Auch Bremen 2014 war ein Bibliothekartag mit entschlossenem Blick nach
vorn, wie wohl fast alle Jahrestagungen seit Augsburg 1970, nach dem
Einstieg unserer Profession in die EDV in den 1960er Jahren.
Eher früher denn später haben sich heute alle Bibliotheken der Frage zu
stellen, ob sie noch das richtige System haben oder möglichst bald
migrieren sollten, denn unbegrenzt lange bestehen kann keines.
(Wer einem Verbund angehört, kann zwar die Frage an dessen Leitung
weiterreichen, mag sich aber wohl auch nicht als bloßes ausführendes
Organ derselben verstehen, sondern auf eigenes Mitdenken nicht
verzichten wollen.)
Nun ist zwar das allegro des Jahres 2014 nicht mehr dasselbe wie das
von z.B. 2004 oder 2009. Es übertrifft vielmehr alle früheren im
Funktionsumfang wie auch in der Leistung, dies jedoch mit einer im
wesentlichen unveränderten Konzeption und Architektur. Der technolo-
gische Wandel hat es aber an sich, daß er an den Grundfesten jeder
Konzeption rüttelt, die länger als ein Jahrfünft besteht. Doch eine
grundstürzende Änderung in der Konzeption würde kein verbessertes
System hervorbringen, sondern ein neues, ein mit dem alten nicht mehr
kompatibles. Das allegro des Jahres 2014 *ist* noch immer kompatibel
zu dem des Jahres 1994. Ergo kann es nicht mehr in jeder Hinsicht den
Ansprüchen und Anforderungen der Jetztzeit entsprechen, nicht zu reden
von 2019 und 2024. (An dieser Stelle sei nur verwiesen auf diverse
Erweiterungen, auf die im nächsten Beitrag noch einzugehen sein wird.)
Die Jetztzeit steht, wie sich in Bremen bestätigte, in unseren Belangen
vor mindestens fünf Herausforderungen:
1. Discovery-Systeme fegen vehement das jahrhundertealte Konzept des
Katalogs hinweg, der nur fest umrissene Fragetypen in genau
festgelegter Weise bedienen konnte, und dies nur für abgegrenzte
Bestände von physischen Objekten. Nun aber geht die Zielvorstellung
bis hin zu einer völligen Integration von Homepage und Discovery-
System.
http://de.wikipedia.org/wiki/E-LIB_Bremen
http://de.slideshare.net/rjw
2. Hergebrachte Regeln (RAK und AACR2), Datenstrukturen (MAB und MARC)
und auch Arbeitsweisen ("Titelaufnahme") werden durch formal und
funktional ganz andere, und nunmehr globalisierte, Konstrukte und
Verfahren (RDA, Bibframe, RDF, Linked Data, (teil-)automatisierte
Erschließung) in Frage gestellt und mit wenig Bedenken in die
Obsoleszenz geworfen. "Metadaten", vor Zeiten heiß diskutiert, sind
aber, für sich genommen, kein dominierendes Thema mehr.
Alles Neue ist losgelöst von den Vorstellungsbildern der Zettel,
Listen und alphabetischen Register und nur in IT-Systemen der
Jetztzeit funktionabel - mit unbekannter Halbwertszeit.
http://access.rdatoolkit.org
http://www.loc.gov/bibframe
http://www.w3.org/RDF
http://de.wikipedia.org/wiki/Linked_Open_Data
http://linkeddata.org
3. Die Sammeltätigkeit der Bibliotheken geht über physische Objekte
immer weiter hinaus: Das Paradigma der Bibliotheksarbeit lautet
nicht mehr "Bestand" ("ownership"), sondern "Zugang" ("access"),
und die zugänglich zu machenden Objekte sind nicht mehr nur
Publikationen, sondern mehr und mehr körperlose Inhalte in
wachsender Diversität. Aktuell sind es Forschungsdaten, die man sich
zu fixieren, zu bewahren und zu erschließen anschickt. Es besteht
außerdem das Bestreben, Kulturgut-Institutionen aller Art in
gemeinsame Boote namens "Europeana" und "Deutsche Digitale
Bibliothek" zu holen, mit interoperablen Regeln und Strukturen.
http://www.europeana.eu / http://www.ddb.de
4. Ein "System" selbst soll künftig nicht mehr als physische Präsenz
("Server"-Apparatur) in der Bibliothek verortet sein, es soll
vielmehr aus Diensten ("Services") bestehen, die nicht mehr
eindeutig lokalisiert sein müssen, sondern im Netz (in der "cloud")
aus lokaler Sicht scheinbar virtuell existieren. ("Scheinbar",
weil natürlich jeder Dienst eines Hardware-Substrats bedarf, und
"virtuell", weil zwar die Ergebnisse von Diensten sichtbar werden,
ihre genaue Herkunft und reale Basis aber nicht.)
http://www.projekt-cib.de/wordpress/
5. Infolge 4. steht ein Thema wie "Integriertes Bibliothekssystem"
heute weit außerhalb jedes Fokus der Fachdiskussionen; in Bremen war
das Thema so gut wie abwesend. Niemand scheint ein neues entwickeln
zu wollen, und Weiterentwicklungen der existierenden finden wenig
Interesse. Für Migrationswillige eine wenig erfreuliche Situation.
Der einzige bekannte Neuansatz, Kuali, zieht denn auch von
vornhereindie "Cloud" mit ins Kalkül:
http://www.kuali.org/ole
http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2013/1467/
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