[Allegro] V34.8 steht vor der Tür. Und dann?

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Fr Dez 12 11:38:49 CET 2014


Liebe Liste,

noch ein paar Details dazu:

Am 12.12.2014 um 10:31 schrieb Bernhard Eversberg:

> "RDA-Kompatibilität". Das ist, um es noch anders zu sagen, momentan noch
> gar nichts wirklich greifbares. Worauf es für uns ankommen wird, das
> sind
> 
> a) die deutschen Anwendungsregeln
>    Als solche nur zugänglich für Toolkit-Abonnenten, aber wichtig sind
>    die Auswirkungen davon in den DNB-Daten. Beispiele dazu gibt es
>    noch nicht.

Irgendwo gewiss schon...

Die Verbuende planen, zum 31.3.2015 ihre /gemeinsamen/ Schulungsunterlagen
fuer die RDA-Einfuehrung im 4. Quartal fertig zu haben, und dann quasi
sofort mit der Schulung von Multiplikatoren, die dann in ihren jeweiligen
Institutionen anhand derselben Unterlagen das gesamte Personal schulen
werden, zu beginnen.

So wie ich es verstanden habe, betrifft das zunaechst einmal die
Basics, zu Sondermaterialien sind die RDA-Regeln und erst recht die
Deutschen Anwendungsregeln noch durchaus im Fluss.


> b) die im Gefolge von RDA zu erwartenden Formatänderungen in MARC21 und
>    die Ergebnisse der BIBFRAME-Initiative. Die wenigen MARC-Änderungen
>    sind sehr überschaubar, was aber BIBFRAME bringen wird, liegt noch
>    in dichtem Nebel, der sich noch nicht bald lichten wird.

Alle derzeit bekannten RDA-Implementierungen fuehren das bekannte Prinzip
der "Manifestation-Level"-Katalogisierung fort, also Katalogisierung
anhand der Vorlage, und typischerweise Schaffung *eines* Datensatzes.
D.h. die FRBR-Entitaeten (WEMI - Work, Expression, Manifestation, Item)
dienen zwar der Schaerfung der intellektuellen Prozesse, und die zu
verzeichnenden Attribute sollen den verschiedenen FRBR-Ebenen klar
zugeordnet werden koennen (ein "Ill." konnte bislang Haupturheber
sein oder den Schutzumschlag gestaltet haben oder alles dazwischen -
das wird nun genauer betrachtet). Aus solchen Beschreibungen koennen
benoetigte Datensaetze fuer Werke und Expressions zukuenftig
(halb?) automatisch extrahiert werden, wobei Werke wohl ueberall
als *Normdatensaetze* (wie in der Musik in Abloesung der "EST-Datei"
schon lange Usus) gefuehrt werden und zumindest in D-A-CH auf die
Erzeugung von Expression-Records ganz verzichtet werden wird...

Die Befuerchtungen, dass nun mit RDA und FRBR eine Vielzahl von
WEMI-Fragmenten durch Katalogisierer erzeugt und irgendwie miteinander
verwoben werden muessen, sind ziemlich gegenstandslos, Kritiker
wenden allerdings ein, dass die RDA ihr Potential und ihre
Vorzuege gegenueber den traditionellen Regelwerken erst ausspielen
werden koennen, wenn das Post-MARC-Zeitalter angebrochen sein
wird, also der bibliographische Datensatz als Konzept abgeschafft
ist (bzw. nur noch ein technisches Aggregat aus kleineren Daten-
einheiten).

Tatsache ist allerdings, dass *Bezuege* einen viel, viel staerkeren
Stellenwert erhalten und das heisst nach meiner Einschaetzung, dass
RDA-Katalogisierung ohne Normdaten gar nicht funktionieren wird:
Der *bibliographische* Datensatz ist ein ganz schlechtes Vehikel
fuer die nun als *Daten* betrachteten Informationen zur Identifikation
etc. der diversen in Verbindung damit stehenden Personen, Koerperschaften,
Orte etc. In der allegro-Gemeinschaft gibt es mehr oder weniger
Normdaten-affine Anwender, das ist mir bekannt. International gesehen
stehen die Anwender aus D-A-CH aber ganz gut da, was den bisherigen
Einsatz von Normdaten betrifft. Hingegen sind die Anwender aus den
traditionellen MARC21-Communities bezueglich Normdaten als Daten-
saetzen vor grosse Herausforderungen gestellt: Weil MARC21 die
Phrasierung der Ansetzungen durch Unterfeldzeichen erlaubt, gab
es dort einfach nie den Druck, Informationen zu Personen und
Koerperschaften in Datensaetze auszulagern. Es gibt mit dem LCNAF
natuerlich eine gigantische Normdatei, die wurde aber eher so
genutzt, wie hierzulande frueher die GKD-Mikrofiches: Als Kopier-
vorlage, wenn man mal eine Ansetzung braucht. Insofern also
einerseits "Entwarnung" fuer die Anwender, die mit Normdaten
bislang nichts am Hut hatten - sie sind nicht allein. Und
andererseits keine Entwarnung: Normdaten zu ignorieren duerfte
in Zukunft zunehmend schwierig werden.


> "RDA-Kompatibilität" ist deshalb momentan keine griffige Aufgabe, die
> man nur entschlossen anzugehen hätte. Es ist in großen Teilen - so gut
> wie alle Ansetzungs- und Beschreibungsregeln - gar kein für allegro
> wirklich relevantes Problem, sondern daraus werden Inkonsistenzen
> resultieren, die sich per Software sowieso nicht lösen lassen.
> Es sei denn, man wird sich auf ganz neue Gegebenheiten einrichten
> müssen (gerade hat LC wieder etwas angedeutet in Richtung Linked Data),
> die nach neuen Datenbank-Technologien usw. verlangen und die nicht nur
> allegro betreffen würden. Spekulieren kann man da viel, handeln
> noch nicht.

Ich weiss nicht genau, worauf Sie anspielen, die NLM etwa hat kuerzlich
angekuendigt, sich aus den Bibframe-Aktivitaeten etwas zurueckzuziehen,
um mehr Spielraum fuer eigene, eigentlich noch kuehnere, Experimente
zu haben. Da geht es dann vor allem um Linked Data bzw. den Hoheits-
bereich von Regelwerken: Muss eine RDA- (oder Bibframe)-/Ontologie/
tatsaechlich alles abdecken, oder sollten sich nicht gerade Spezial-
bibliotheken bereits bei der Katalogisierung staerker der Sprache
(Ontologie, Thesauri) ihres Fachs bedienen? Die in diesem Schwenk
enthaltene Kritik ist dabei, dass durch XML oder RDF zwar die
technische Insel der Bibliotheksloesungen verlassen wird, aber durch
ideosynkratische Bibliotheksvokabulare u.U. semantische Inseln
fortleben: Das war ja eigentlich nicht so geplant.

Fuer die einen ist RDA die Chance zur langersehnten internationalen
Vereinheitlichung der Katalogisierung (die prophezeiten Synergien
sehe ich da allerdings v.a. in der Regelwerkspflege, die konkrete
Uebernahme etwa angelsaechsicher Katalogisate wird genauso schlecht
oder recht moeglich sein wie bisher), die anderen sehen die
Gelegenheit, Diversitaet auszuleben (d.h. individuelle Erschliessungen
/innerhalb/ gemeinsamer Standards abbilden und transportieren zu
koennen - da bot bereits MARC21 viel mehr Moeglichkeiten als MAB2),
ich sehe da nicht unbedingt einen Widerspruch und erst die Zukunft
wird zeigen, welche Teilbereiche des Potentials "entdeckt" und
genutzt werden.

viele Gruesse
Thomas Berger



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