[Allegro] Think "Different" war: VuFind 2.3 : Neue Implementierung wird vorbereitet

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Mo Aug 18 19:12:37 CEST 2014


Lieber Herr Eger,

> könnte es sein, dass zu wenig zwischen der inneren Ordnung, die ja 
> zum Suchen, Finden und Aggregieren zwingend erforderlich ist und der 
> [An-]Ordnung zur Präsentation der Ergebnisse unterschieden wird?
> 
> Aber auch zur Ergebnispräsentation wird zumindest implizit nach 
> einem Ordnungsprinzip vorgegangen. 

Dazu faellt mir ein, dass ich Anfang 2000, der IE5 war gerade
herausgekommen, mit Herrn Palme (itaw Berlin) die Kurzliste
einer Recherche in die baumartige Repraesentation der
Aufstellungssystematik einer Bibliothek eingeklinkt habe (d.h.
Systematik als XML plus Trefferliste aus avanti als XML aufbereitet
wurden per XSLT miteinander verheiratet, dazu dann die ueblichen
CSS-Auf-und-Zuklapp-Spielchen): Dadurch wurde auch eine vierstellige
Treffermenge ziemlich uebersichtlich.
Das ist jetzt 14 Jahre her, ich erinnere mich aber nicht,
vergleichbares seitdem in einem Bibliothekskatalog gesehen zu haben.
Mit hierarchischen Facetten kann man so etwas inzwischen auch wieder
machen, vielleicht wird eine solche Sicht auf Bibliotheksdaten
eventuell demnaechst "erfunden"...

Ich denke aber, Sie treffen da genau den Kern: Theoretisch wurde
ja nie infrage gestellt, dass der Katalog mehr ist als die Summe
seiner Teile (der Katalogisate). Umgesetzt wird das Prinzip, dass
diese Ordnung sich einstellt (oder offenbart), wenn man nur
genuegend sorgfaeltig bei der Einzelkatalogisierung vorgeht. Da
ist natuerlich etwas dran, denn wenn man seinen Goethe uneinheitlich
schreibt, finden die Kaertchen im Kasten nie zusammen und nichts
wird sich offenbaren (Bzw. wenn man ihn denn uneinheitlich schreiben
muss, weil die Realitaet im Blick behalten werden muss, dann braucht
es wieder Zusatzregeln, die unterschiedliche Schreibungen dann doch
wieder an derselben Stelle zusammenfuehren: Collation rules sind ja
keine Erfindung des Unicode Konsortiums)... Andererseits sind hier
bei genauerer Betrachtung Eigenschaften historischer Workflows in
die Regelwerke einzementiert, etwa dass einmal niedergelegtes
jahrzehntelang (eigentlich ewig) unveraendert bleiben muss, weil
das Ziehen von Karten so teuer ist und Aenderungen eigentlich nur
durch Nachautopsie legitimierbar sind und die ist noch viel
viel teurer...

Natuerlich haben auch Bibliothekare gelernt, dass man unter EDV-
Bedingungen Datensaetze auch nachtraeglich wieder "anfassen" kann,
es koennte aber sein, dass da immer noch ein Unbehagen herrscht
("haette ich am Anfang alles richtig gemacht, muesste ich jetzt
nicht flicken"). Dass Datensaetze eine zeitliche Dynamik haben
/duerfen/ und dass es vielleicht gar nicht ohne geht, ist m.E.
eine eher neuere Erkenntnis. Damit oeffnen sich Moeglichkeiten,
Datensaetze kontinuierlich an die Erfordernisse der Ordnung
(des Bestandes) anzupassen, die Katalogisierung kann nun also
viel aktiver dafuer sorgen, dass Dinge im Katalogkontext funktionieren,
etwa auch solche, die vor einigen Jahrzehnten, als Katalogisat Nr. 1
erstellt wurde, noch nicht mit im Plan waren.


> Unakzeptabel wird es für mich als Anwender nur, wenn mir bei der 
> Präsentation entweder ein Ordnungsverfahren aufgezwungen wird, das 
> ich nicht benötige bzw. das meinem Suchziel nicht dient, oder/und  
> die Regeln des verwendeten Verfahrens nicht offengelegt werden.
> (Das trifft ebenfalls auf das verwendete Suchverfahren zu)

Tja, das war (auch hier?) ab und zu Thema: Ob nicht die meisten
Formen des Rankings von Ergebnissen nicht mit einer Intransparenz
einhergehen, die Bibliotheken in ihrem besonderen Verstaendnis
als "unbiased" Informationsvermittler nachgerade verboten ist.
Und ob dasselbe nicht auch bei manchen Methoden gilt, die den
Recall beeinflussen: etwa Stichwortsuche unter Zuhilfename von
OCR-Ergebnissen oder Expansionen von Systemstellen-Notationen,
die aus rechtlichen Gruenden gar nicht gezeigt werden duerfen.
Man koennte aber auch argumentieren, dass bereits eine banale
satzuebergreifende Suche (Schiller-Raeuber, bzw. das Analogon, wenn
Stichworte aus dem Normsatz genuegen, verknuepfte Titel zu greifen)
intransparent ist: (Direkt) gezeigt wird ja nur der Treffer, nicht
die verknuepften Records, die den Treffer ermoeglicht haben.

Mit solchen Ueberlegungen geraet man m.E. schnell in das Fahrwasser,
ueberhaupt nicht mit den Daten "zaubern" zu duerfen und in die
Naehe der Argumente, dass aus Gruenden der /Einheitlichkeit/
keine Bibliothek ausscheren darf und daher niemand mehr als
alle anderen Katalogisieren darf und auch nur standardisierte
Indexierungen und Suchverfahren (etwa die in Z39.50 spezifizierten)
eingesetzt werden duerfen.


> Der Widerspruch zwischen den Erfordernissen zur "Behandlung" der 
> "unsophisticated user" und der Notwendigkeit, jemandem, der weiß was 
> und wie er suchen will, geeignetete Werkzeuge in die Hand zu geben, 
> wird nach meiner Überzeugung immer bestehen bleiben.
> 
> Wenn ich nicht beide Nutzergruppen gleich gut - und dann mit 
> verschiedenen Werkzeugen und Verfahren - unterstützen will, muss ich 
> mich nach den Fähigkeiten und Gewohnheiten meiner Zielgruppe 
> richten. Oder ich habe ausreichend Macht, um meine Zielgruppe 
> passend auszubilden ;-)

"Macht" vielleicht nicht, aber (zumindest die oeffentlichen) Bibliotheken
haben ihren Bildungs- oder Erziehungsanspruch (-> Medienkompetenz!)
soweit ich weiss noch nicht aufgegeben. Ich /glaube/ dass Benutzer
akzeptieren koennen, dass der Katalog einer Bibliothek nicht wie
Google aussieht und auch nicht so funktioniert, wenn ihnen die
abweichenden Ziele vermittelt werden. Als da zum Beispiel ein
gewisser Vollstaendigkeitsanspruch waere. Oder eben der Anspruch,
den Benutzer nicht durch exzessive Profilbildung in einer
information bubble einzuschliessen. Durch Herausarbeiten der Bezuege
zwischen den im Katalog nachgewiesenen Werken kann staerker
mit Analogien und Assoziationen operiert werden. Der Katalog kann
auch sagen, dass dieses Thema von diesem Buch staerker abgedeckt
wird als von jenem. Er wird aber nie selber sagen duerfen "dieses
Werk ist besser fuer Dich geeignet / wird Dir besser gefallen als jenes",
insofern sind bereits recommendation services ein latent
zweifelhaftes Instrument...

viele Gruesse
Thomas Berger



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