AW: AW: [Allegro] BITV, barrierefreie Bibliotheken

Gerhard Englert gerhard.englert at fal.de
Mo Jul 18 18:59:00 CEST 2005


Lieber Herr Berger,

> -----Ursprüngliche Nachricht-----
> Von: allegro-bounces+gerhard.englert=fal.de at biblio.tu-bs.de
> [mailto:allegro-bounces+gerhard.englert=fal.de at biblio.tu-bs.de]Im
> Auftrag von Thomas Berger
> Gesendet: Donnerstag, 14. Juli 2005 12:31
> An: Allegro-C Diskussionsliste
> Betreff: Re: AW: [Allegro] BITV, barrierefreie Bibliotheken
> 
> 
> -----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----
> Hash: SHA1
> 
> Lieber Herr Englert, liebe Liste,
> 
> 
> > Um diese Frage nach "ausnahmslos" zu beantworten, muss man wohl die BITV
> > selbst zu Rate ziehen.
> > 
> > http://www.einfach-fuer-alle.de/artikel/bitv/
> > 
> > Wie jede Vorschrift ist sie nötigerweise erst einmal "global" 
> formuliert.
> > Aber es gibt auch dort natürlich Widersprüche in sich selbst und
> > Formulierungen, die Hintertürchen öffnen. Ob man sich jetzt 
> gleich durch's
> > erste Hintertürchen verabschiedet, oder zuerst versuchten will, die
> > Vorschrift zu bevollgen ist sicher eine Entscheidungsfrage. Mein Befehl
> > lautet "bevollgen". Der Aufwand steht momentan noch nicht zu 
> Diskussion, er
> > ist ja noch nicht einmal grob abschätzbar.
> > Um in dieser Lage sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, 
> suche ich eben
> > betroffene Bibliothekare, die auf der Basis der existierenden 
> BITV und vor
> > der Konsequenz, ab 1.1.2006 gegen Dienstvorschriften zu 
> verstoßen, wichtige
> > Entscheidungen getroffen haben. Denn dazu mußten sie Argumente 
> abwägen oder
> > Lösungen finden, die mir auch helfen würden - wenn ich sie denn 
> hätte :-)))
> 
> Ich habe bislang auch erst Zusammenfassungen gelesen.
> 
> Ich koennte mir vorstellen, dass die online gestellten Steuerformulare
> der Finanzbehoerden auch gewisse Schwierigkeiten haben werden, solchen
> Bestimmungen zu genuegen und erst eine umfassende Steuerreform hier
> Abhilfe schaffen wird.

Da haben Sie Recht und es wird auch deutlich als einer der ganz großen Vorteile der BITV gesehen, dass ***alles*** was einer BITV unterliegt für ***jedermann*** extrem klarer werden wird. Alles muss klarer, schlichter, überschaubarer werden, soll es auf irgendeine Art und Weise auch von Behinderten aller Art genutzt werden können. Ein möglicher Test: Alles was Lynx nicht rüberbringt, ist schon problematisch (sagen die Experten)


> 
> Im Hinterkopf sollte man aber behalten, dass es m.E. primaer um
> redaktionell betreute Texte geht, nicht um Inhalte von Datenbanken.

Primär ist das sicher so gewesen, aber mit welchem Argument wollen Sie auf Dauer Behinderten Ihre Daten vorenthalten, wenn Ihr öffentlicher Auftraggeber von Ihnen verlangt, sie behindertengerecht zu anzubieten?
Auf bayrisch etwa so :-)) 
"Des hamma immer scho so gmacht"
"Da kannt ja jeder kemma" und
"Wo kammat'n ma do hi?"


> Die Alternative waere ja hoechstens, aufgrund der BITV alle
> moeglichen Inhalte vom Netz nehmen zu muessen, damit waere insbesondere
> der Gruppe der Mobilitaetseingeschraenkten Personen gewiss geschadet.
> Bestimmt gibt es auch so etwas wie "Bestandsschutz", und darunter
> duerfte auch das alte Prinzip fallen, dass ein Katalogbruch manchmal
> schlimmer ist als eine Verletzung der aktuellen Regeln. Ausserdem
> sitzen Sie ja nun in der Zwickmuehle: Wenn Sie "Katalogisierung nach
> BITV" betreiben, werden sie bibliothekarisch enterbt. Es kann natuerlich
> sein, dass der Standardisierungsausschuss am 1.1.2006 geschlossen
> in Erzwingungshaft geht, bis eine BITV-konforme RAK 2,5 verabschiedet
> ist (Language Tags in Katalogisaten *ist* ein altes Desiderat von mir,
> weil es auch der maschinellen Indexierung ausserordentlich foerderlich
> ist). Zwischenzeitlich koennten Sie den Aufwand an zusaetzlichen
> Planstellen berechnen, der fuer eine kontinuierliche Katalogisierung
> nach BITV-konformen Regeln erforderlich ist.

Da mögen Sie wieder Recht haben, es löst nur die existierende BITV nicht auf! Mit dieser Aufgabe werden wir wohl den Rest unseres Dienstlebens zubringen.


> Weitergedacht sollten Sie auch bedenken, dass Sie nun strenggenommen
> auf *Ihrem* Volltextserver nur noch BITV-konforme e-Publikationen
> Dritter spiegeln duerfen, das Vorhalten nicht-konformer Inhalte muessen
> Sie dann wohl an die Privatwirtschaft delegieren. Wie gut, dass Sie
> keine Pflichtexemplarbibliothek sind, sonst saessen Sie hier auch in
> einer Zwickmuehle.

Leider darf ich (als Vertreter aller BITV-Untertanen) auch das gar nicht mehr "bedenken", denn die BITV schreibt natürlich auch vor, dass mindestens alle neuen Publikationen (soweit sie der BITV unterliegen natürlich) BITV-konform sein müssen. Hätten die Schreiber vor 10 Jahren schon gelernt mit Word mehr als nur Buchstaben zu tippen, hätten sie jetzt nicht mehr so große Probleme.
Diese Zwickmühle wird noch für viel Kopfweh sorgen, fürchte ich. Wenn ich "Zwerg" schon solche Schmerzen habe :-)))

> 
> Es gibt aber haufenweise bedenkenswerte Regelungen zum *Interface*
> Ihrer Datenbank (im Gegensatz zu den Inhalten, wobei die Formatierung
> und Aufbereitung der Inhalte eine Grauzone sein koennte). Und hier
> gibt es auch haufenweise online-Tools (z.B. bei W3C, das entsprechende
> Gesetz "Section 508" in den USA ist ja schon etwas laenger in Kraft).
> Um die wichtigsten zu nennen:
> * Formatierung ausschliesslich ueber CSS
> * zweidimensionales Design moeglichst nie mit Tables
> * moeglichst XHTML strict, inklusive haufenweise alt-, title- und
>   language-Tags
> * moeglichst keien Syntaxfehler im HTML
> Dies sind alles Dinge, die der Best Current Practice auch im Umgang
> mit Nicht-Behinderten entsprechen. Gerade bei aelteren Homepages ist
> aber vermutlich ein voelliges Redesign erforderlich, und einen aelteren
> Allegro-OPAC auf HTML-Konformanz zu trimmen ist auch eine sehr
> aufwendige Angelegenheit (m.E. ebenfalls: am besten wegwerfen und neu
> machen).

Zum Glück sind das alles nicht meine Sorgen. Da verdienen sich schon einige Firmen eine goldene Nase. Allerdings mit bisher nur sehr mäßigem Erfolg. Nehmen Sie nur einen Test-Vorleser und gehen Sie auf eine beliebige "barrierefreie" (Bibliotheks-)Seite. Sie werden erschrecken, wie wenig weit Sie kommen. 


> Herr Schnoepf von der BBAW in Berlin hatte am 20.6. auf dieser Liste
> uebrigens auf den Barrierefreien Auftritt der Akademiebibliothek
> und ihrer Kataloge hingewiesen, ich glaube nicht, dass dafuer alles
> neu katalogisiert worden war.

Er wäre wohl weltweit der Erste gewesen, vermute ich mal, nach meinen bisherigen Versuchen, jemand zu finden, der hier schon was getan hat.
Nur, das alles hilft nicht an der Gültigkeit der BITV vorbei. Und selbst wenn der eine oder ander Punkt dort modifiziert werden wird/würde, im Großen und Ganzen wird sie uns wahrscheinlich nie mehr verlassen.

> 
> Fazit (ohne mir jetzt die FAL-Seiten angesehen zu haben):

Die dürfen Sie getrost vergessen; die ist töter als tot.  Bei der Erstellung dieser Angebote, haben wir noch nicht einmal geahnt, dass da je ein Behinderter draufschauen könnte. Eigentlich eine arrogante Gedankenlosigkeit, wenn man es rückwirkend aus der Sicht eines Behinderten betrachtet.

> Es gibt Schlampigkeiten im Web-Auftritt, die schon immer aergerlich
> waren und die nun gezwungenermassen behoben werden muessen (was
> allerdings fuer viele bedeuten wird, die Homepages nicht mehr wie bisher
> zu pflegen, sondern zunaechst eine spezialisierte Fachabteilung bzw.
> Agentur zu  beauftragen, die ein Layout entwickelt und eine
> Rahmenumgebung aufsetzt, in der die Inhalte dann wieder in eigener Regie
> gepflegt werden koennen).
> 
> Und es gibt Anforderungen, die die Kernbereiche der Katalogisierung
> betreffen, nur zentral ueber Regelwerke umgesetzt werden koennten und
> dann in einem Zeithorizont von etwa 50 Jahren maehliche Verbesserungen
> bewirken wuerden. Kurz: "Geht nicht!"
> 

Tja, ein "Geht nicht" ist auch wieder nicht meine Sache. Das sind politische Entscheidungen, die in ganz anderen "Räumen" getroffen werden. Je nach Druck geht alles oder nichts. 

Ich bin nur die Luft, nicht die Pumpe :-))))

mfG
G. Englert



> viele Gruesse
> Thomas Berger
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