Wer will AACR? Oder warum nicht?
Armin Stephan
A.Stephan at t-online.de
Mo Jan 7 17:10:08 CET 2002
Lieber Herr Eversberg,
zunaechst einmal nimmt es mich schon ein wenig wunder, und
zugleich auch wieder nicht, dass auf Ihre Anfrage noch keine
Rueckmeldung erfolgt ist.
Regelwerks- und Formatfragen waren einmal ein Leitthema in der
bibliothekarischen Fachdiskussion, heute sind sie es nicht mehr.
Nur so kann ich mir erklaeren, dass in vielen bibliothekarischen
EDV-Systemen aller Ebenen (auch in Allegro) kleinere und
groessere Ungereimtheiten in Bezug auf die Regelwerksumsetzung
ueber viele Jahre mitgeschleppt werden und sich niemand ernsthaft
daran stoesst.
Nur vor diesem Hintergrund ist es mir vorstellbar, dass der
Standardisierung das Ende von RAK und MAB verkuenden kann,
ohne dass eine breite Reaktion der Fachoeffentlichkeit erfolgt.
Es ist ja schlimm, dass diese Entscheidung wieder einmal in den
bekannten bibliothekarischen Zirkeln gefaellt wurde, aber sie ist
nun einmal ausnahmsweise darueber hinaus ruchbar geworden und
trotzdem erfolgt keine Reaktion.
Es ist ja noch gar nicht allzu lange her, dass wir hier in
Deutschland einen Regelwerkswechsel erlebt haben und viele von
uns haben das sicher noch miterlebt. Mehr als zehn Jahre hat der
Umstieg von PI nach RAK in den kirchlich-wissenschaftlichen
Bibliotheken gedauert. Kataloge mussten umgearbeitet werden,
das Regelwerks-Knowhow eines kompletten Berufsstandes wurde
hinfaellig. Ueber Jahre wurden Fortbildungsmassnahmen
durchgefuehrt.
Vielleicht mag die Umstellung der Kataloge in den Grenzen des
technisch Machbaren mittels EDV heute einfacher zu
bewerkstelligen sein als zu konventionellen Zeiten (auch bei der
letzten Regelwerksumstellung wurden viele Katalogabbrueche erst
mit Einfuehrung der EDV in Angriff genommen), aber die
Umschulung des Berufsstandes bleibt uns sicher auch dieses Mal
nicht erspart. Angesichts der Moeglichkeiten der
Fremddatennutzung verschafft sich vielleicht sogar ein gewisser
Dilettantismus Raum.
Spaetestens im Bereich der Ansetzungsfragen kann ich mir den
Wechsel von RAK nach AACR wirklich nicht vorstellen. Kann man
ernsthaft annehmen, dass es akzeptabel waere, englischsprachige
Vorzugsbenennungen zu verwenden (der Papst unter "John Paul"
zu finden)? Vielleicht gibt es hierfuer ja landesspezifische
Ausnahmeregelungen, aber was ist dann in Bezug auf den
Datenaustausch moeglich? Oder sind nur noch Ansetzungsformen
moeglich, die durch eindeutige Identnummern wechselseitig
ausgetauscht werden koennen?
Ein Kollege von der ABTAPL (Association of British Theological
and Philosophical Libraries) hat neulich in einer E-Mail
geschrieben, dass er die deutschen KollegInnen immer um ihr
Regelwerk beneidet hat und jetzt sehr traurig ist, dass es
aufgegeben werden soll. Er haelt die RAK fuer das mit Abstand
modernere(!) Regelwerk. Ein Rueckschritt im Namen des
Fortschritts also?
Neulich habe ich eine nennenswerte britische bibliographische
Datenbank konsultiert, weil ich ein komplexes mehrbaendiges
Werk zu katalogisieren hatte und bin mit aller Deutlichkeit auf die
(moegliche) flache Struktur einer AACR-basierten Datenbank
aufmerksam gemacht worden. Diese Art der Darstellung halte ich
nicht fuer adaequat in Bezug die bibliographische Wirklichkeit.
Das, was wir Gesamtwerk nennen, ist eine bibliographische
Realitaet, die sich nicht ueberzeugend in einzelne Stuecke
aufloesen laesst. Es wuerde mich nicht nur Umlernen, sondern
Umdenken kosten, in Zukunft so katalogisieren zu sollen.
Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Augustana-Hochschule Neuendettelsau
Am 28 Dec 2001, um 8:37 hat Bernhard Eversberg geschrieben:
>
> Wieder wird ein Jahr Geschichte. Aber mehr als das:
> Bald koennte auch unser Regelwerk RAK in die Geschichtsbuecher
> wandern. Der Standardisierungsausschuss (Nachfolger der Regelwerks-
> kommission) hat beschlossen, an den RAK nur noch zwei Jahre lang die
> unabweisbar notwendigen Arbeiten durchzufuehren, ansonsten aber durch
> eine Studie den Weg bereiten zu lassen fuer eine Einfuehrung der AACR
> binnen 5 Jahren. Siehe dazu:
> http://www.ddb.de/professionell/pdf/goe_ng.pdf
> (Vorabdruck ZfBB 2002,1)
>
> Das ist uns Veranlassung, die Frage zu stellen, welche dezidierten
> Meinungen es dazu im Kreise unserer Anwender gibt. Wohlgemerkt: die
> Sache ist beschlossen! Andererseits hat der Beschluss genau genommen
> keine Autoritaet - Bibliotheken, Verbuende, Regionen koennten ihn
> ungestraft ignorieren. Doch sie muessen sich ihre Regeln dann selber
> machen. Aber war's nicht immer so? Nur in der DDR wurden seinerzeit
> die RAK per Gesetz durchgedrueckt. Dem Bundestag mangelt dafuer die
> Zustaendigkeit, falls es ihn denn interessieren sollte.
>
> Na denn prost!
>
> B.E.
>
>
> Bernhard Eversberg
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