[Allegro] v36.1, dnb.flx u. a. weiter verbessert

Thomas Berger ThB at Gymel.com
Fr Mai 13 09:17:38 CEST 2016


Am 13.05.2016 um 07:43 schrieb Bernhard Eversberg:

> Wie auch immer, sinnvoll, nein geboten, wäre eigentlich eine Evaluierung der
> RDA-Auswirkungen hinsichtlich Kosten und Nutzen. Eine solche wird es, wie
> z.B. beim Größtprojekt Rechtschreibreform, nicht geben. Und wenn keiner
> oder allzu wenige den Mund aufmachen (meines Amtes ist das nicht mehr),
> wird auch die von Herrn Osterhus aufgespießte Hypertrophie der
> Nebensächlichkeiten noch eskalieren. "Der neue internationale Standard!"
> Das genügt augenscheinlich vollauf als Rechtfertigung für alles.

Der zitierte Blog-Beitrag erwaehnt, dass Weglassungen an diesem
Beispiel in den RDA optional sind und noch nicht einmal durch
Ellipsen gekennzeichnet werden. Er betont aber auch die
"Vorlagentreue" als quasi uebergeordnetes Prinzip.

Die Anwendungsregeln fuer D-A-CH haben zwar normalerweise die
Tendenz, zwischen RDA-Optionen eine allgemeinverbindliche
Entscheidung zu treffen, in diesem Fall 2.4.1.4 lassen sie
explizit die Wahl, auch in der kuerzlich im Hinblick auf
Lebensdaten bei Verfasserangaben von Dissertationen erfolgten
Ueberarbeitung:

>>>
Wenden Sie die optionale Weglassung an, wenn dies aus
Datenschutzgründen geboten ist (z. B. wenn die
Verantwortlichkeitsangabe das exakte Geburtsdatum, die Postanschrift
oder die Matrikelnummer einer lebenden Person enthält). Fakultativ
können Sie die optionale Weglassung auch für die Erfassung
umfangreicher Verantwortlichkeitsangaben anwenden.
<<<

Ich denke, Irritationen sind vielleicht so zu erklaeren:

In AACR2-Land ist Originalkatalogisierung etwas ungemein
(aus unserer Warte: unvorstellbar) aufwendiges gewesen, daher
wurde Copy-Cataloging betrieben: Aus einem Reservoir von
Aufnahmen in den lokalen Katalog hineinkopiert und dann
durchaus noch einmal kraeftig angepasst.

Hierzulande hingegen gab es (historisch) groessere Wider-
staende gegen Fremddatennutzung ueberhaupt, gerade in
den Verbuenden: Neukatalogisierung per Autopsie wurde als
effizienter empfunden als Recherche und Uebernahme von
Fremdkatalogisaten (vom Fremddaten-Pool, also anderen
Verbuenden in die eigene /Verbund/datenbank), insbesondere
wo man die ja pruefen und korrigieren muesse. Dahinter
steckt die Praxis, dass die Katalogisate in den lokalen
UB-Katalogen die Version aus der Verbunddatenbank treu
spiegeln (lokale Anpassungen also nicht moeglich sind bzw.
nicht langfristig erhalten bleiben) und dahinter wiederum
die Idee vom Einheitskatalogisat, d.h. korrekte Anwendung
der Regeln vorausgesetzt gibt es ein Ergebnis das keinen
Raum fuer Diskussionen oder Auslegungen laesst.

Aus AACR2-Sicht ist die Hoffnung an die RDA, dass Original-
Katalogisierung deutlich erleichtert wird und die
optionalen Regelungen ungefaehr der Bandbreite der bisherigen
Anpassungen im Rahmen von Copy-Katalogisierung entsprechen.
Aus RAK-Sicht sind die erwarteten Vorteile m.E. diffuser,
"Internationalisierung" ist immer nur ein Slogan gewesen,
dass man nicht die Kapazitaeten hatte, das Regelwerk im Rahmen
der D-A -Community angemessen fortzuschreiben, und daher auf
etwas breiter gepflegtes (damals noch: AACR2) umsteigen muesse,
immerhin ehrlich.

Ich weiss jetzt nicht aus dem Kopf, wann was passiert ist,
die "Kapitulation", die sich in den divrersen Umstiegs-
beschluessen aeusserte, ist ueber 10 Jahre her und erfolgte
aus damaliger Sicht als Reaktion auf einen Reformstau, der
sich seit Beginn der 1990er Jahre aufgebaut hatte, als man
VHS-Kassetten nicht mehr negieren zu koennen glaubte und
"elektronische" Medien in Form von CDs auftauchten, manches
sogar "im Fernzugriff". Unsere heutige Situation ist eher
gepraegt von Entwicklungen, die danach erst stattgefunden
haben bzw. richtig deutlich geworden sind:

- Kataloganreicherungen durch Inhaltsverzeichnisse etc.

- zeitnah Funktionierende Uebernahme der meisten Erschliessungen
  aus der DNB (RSWK-Ketten)

- Erwerbungskatalogisierung (das Katalogisat muss u.u. schon
  vor Erscheinen des Werks vorliegen und spaeter ggfls.
  ueberarbeitet werden) [In kleineren Bibliotheken ab Mitte
  der 1990er Jahre, oft quasi von Beginn der EDV-Katalogisierung
  an praktiziert]

- Bei der DNB: Integration von Nationalbibliographie, Katalog
  als Pflichtablieferungsbibliothek und CIP-Datenbank (es
  werden also keine Bibliothekare mehr eingesetzt, um die
  Verlagsmeldungen auf Papier abzuschreiben und regelhaft in
  eine bibliographische Datenbank zu ueberfuehren)

- Harvesting von Metadaten, insbesondere von elektronischen
  Ressourcen, Versuche mit OCR-Verarbeitung von Titelseiten

[die vorigen drei Punkte funktionieren m.E. nur, wenn man
die Vorstellung eines "Einheitskatalogisats" gewaltig
relativiert]

- Parallelitaet von e- und Print-Ausgaben ist in vielen Bereichen
  die Regel


Im fraglichen Beispiel eines Kommentars zur Gewerbeordnung kann
es sein, dass der Verlag bereits die vollstaendige Verfasserangabe
gemeldet hat und die Nationalbibliothek (der Titel ist im Hause
und das Katalogisat von der Formalerschliessung zumindest gesehen
worden) hier per Copy&Paste etwas ausdifferenziert hat oder
die Interpunktion anpassen musste. Dazu wurden Verknuepfungen
angelegt und Sacherschliessung betrieben (RSWK-Erschliessung
juristischer Texte findet vermutlich ziemlich an der Ober-
flaeche statt und tut auch nicht weh).

Die Verantwortlichkeitsangabe auf einen (ertraeglichen,
traditionellen, brauchbaren, zumutbaren, professionellen,
... geringeren) Umfang zusammenzustutzen, wie es die RDA-Option
erlaubt, ist intellektuell nicht ganz ohne (fuer das "Wie" gibt
es ja keine detaillierte /Regel/ mehr) und vergroessert die
Spannung zwischen Vorlagentreue als Prinzip und unterstellter
Benutzererwartung (Beschraenkung aufs Wesentliche) sowie die
Kluft zwischen Verlags- und Bibliotheksdaten. Ich denke, man
braucht gute Argumente, um an die Nationalbibliothek oder seinen
Lieblings-Regionalverbund den Anspruch heranzutragen, diese
(ich betone noch einmal: lt. Regelwerk durchaus zulaessigen)
Kuerzungen auch in Zukunft zu leisten.

viele Gruesse
Thomas Berger





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