[Allegro] Fachbegriffsreform : eine Extra-Fortbildung
Bernhard Eversberg
ev at biblio.tu-bs.de
Di Apr 1 11:49:25 CEST 2008
Zur Reform der Fachbegrifflichkeit
Ein An- und Vorstoß
Das erste Quartal verfliegt immer so rasch. Da hält man an der Schnitt-
stelle zum zweiten gern schnell mal eben inne, um auszuloten, ob die
Richtung denn noch stimmt, das dünne Eis noch trägt, der Boden auch
fruchtbar ist, den zu bestellen man sich anschickt, usw. usf.
Stets findet sich ein Gegenstand, der schon längst mal einer empörenden
Oberflächlichkeit entrissen oder aus allzu schwummrigem Zwielicht
hervorgezerrt gehörte. Was wir uns diesmal, nicht erstmals, nun aber
richtig, vorknöpfen, das sind unsere zweifelhaften Freunde, die
METAPHERN
Sind's gleich nur Wörter, Wörtern gleich bekannt,
inmitten dürrer Worte hingeschrieben -
unverstanden, übertrieben und der Wahrheit abgewandt!
Das Dilemma
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Erst vor kurzem gab es hier neuerlich Kommunikationsprobleme, die aus
mangelndem Verständnis von Fachbegriffen herrührten, und wieder zeigte
sich, daß die Fachbegriffe irgendwelche Metaphern waren, die sich
partout nicht von selbst erklären, sondern gekannt werden wollen. Und
das ist bei einer Metapher nachgerade grotesk, weil konträr zu ihrem
Wesen: Man kennt ja das Wort in seiner Alltagsbedeutung und denkt
sich automatisch was dabei - leider aber Falsches, Schiefes, Halbes
oder noch weniger. Beispiel?
Nur mal angenommen, ganz theoretisch, jemand hätte noch nie das Wort
"Maus" für das bekannte Zusatzgerät gehört, obwohl er ein solches
ständig herumschiebt. Nun schreibt einer in der allegro-Liste: "Wir
brauchen mehr Unterstützung für die Maus!" Was soll der arme Mensch
dann denken? Sehen Sie, Sie wissen es auch nicht!
Dabei wäre dies ein harmloser Fall, viel schlimmer ist es, wenn
hergeholte Wörter auch noch einen Sachverhalt viel zu einseitig
oder aber maßlos übertrieben kennzeichnen. Der Produktname "Nero
burning ROM" ist ein Extrembeispiel.
Der Handlungsbedarf
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Die Informatik muß, das stößt immer neu auf, Schluß machen mit dem
flapsigen Umsichwerfen mit irgendwo entwendeten Wörtern. Sie muß ganz
NEUE Wörter prägen, die eben NICHT zu vorschnellen oder entgleisenden
Interpretationen verführen. Das ist lange bekannt und auch im allegro-
Umfeld mehr als einmal angeklungen, aber nichts ist passiert. Deshalb
preschen wir heute mal vor und gehen diesen schwankenden Gestalten
an den Kragen.
(Das Hauptdilemma ist: Die meisten Informatiker sind völlig
betriebsblind - sie selber wissen ja immer, was los ist, wenn sie
ABC sagen, aber XYZ meinen.)
Als Methodik zur Bildung von Neologismen wählen wir die immer wieder
beliebte Akronymik, obwohl sie schon oft zu recht gekünstelten oder
kaum sprechbaren Lösungen (z.B. "Masulist", "FRBR", "qrix") geführt
oder ganz absurde neue Metaphern (z.B. "aLF" oder "GNU" oder "Mumps")
gezeugt hat - da muß man eben etwas aufpassen.
Willkürlicher und auch weit weniger ergiebig ist die Anagrammatik,
ungeeignet bis unbrauchbar sind Onomatopoesie, Ideophonie, Metonymie.
[Die Philosophie bleibt aber draußen: die nicht erst mit Aristoteles
beginnenden und mit Wittgenstein längst nicht endenden Kombattanten
stolpern von Zerwürfnis zu Scharmützel - die sollen sich erstmal
einigen.]
Die Ergebnisse
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Die ersten neun oder zehn Ergebnisse werden hier vorgestellt und -
wennschon dennschon - zur sofortigen Verwendung im allegro-Kontext
verbindlich eingeführt.
1.
Nehmen wir als erstes Beispiel und Vorübung gleich die "Maus".
Was tut man damit? Drei verschiedene Sachen:
-- Zeigen und Markieren (z.B. bei einer Präsentation)
-- Auslösen oder Aktivieren (einschalten, starten, öffnen)
-- Positionieren (Verschieben, Größe ändern usw.)
Schon haben wir ZAP! Man zappt mit der Maus - ein passendes Wort für
die Maus wäre "Zapper", oder nicht? Denn Neulinge nehmen das Ding in
die Hand und fuchteln intuitiv in Richtung Bildschirm ...
2.
Nur um zu zeigen, daß auch die Anagrammatik mal helfen kann:
Der (oder das?) "Virus" hat ein viel zu hohes Mißverstehenspotential.
Gruppieren wir das Wort um zu SIRUV, haben wir etwas, das noch genügend
beunruhigend klingt, den Hörer aber zu keinen Fehlschlüssen aufgrund
mangelnder Kenntnis verleitet, sondern zum Aneignen der nötigen
Sachkenntnis - und nichts anderes hilft besser.
Sie sehen, worum's geht und wie's gemacht wird? Dann geben wir sofort
richtig Gas.
3.
Gleich ran an etwas Schwierigeres: Die "Schnittstelle".
Eine überaus unglückliche Wortwahl für das englische "Interface".
Wer davon noch nie gehört hat, denkt vielleicht an "Schnittmuster" oder
"Bruchstelle", oder "Sollbruchstelle" gar - und liegt total daneben.
Wie bei der Maus, so auch hier die Überlegung: Was macht denn
eine Schnittstelle, wozu ist sie gut? Ihre Aufgaben sind:
-- Übersetzen : Datenstrukturen oder Befehle wandeln
-- Verbinden, Vermitteln : zwischen Netzen und Geräten
-- Interpretieren : Signale in Aktionen umsetzen
Das ergibt "ÜVI" - ein intuitiv nicht erschließbares, daher auch nicht
stumpfsinnig falsch verstehbares Wort, und darauf kommt's an in diesem
Fall. Wer mit Schnittstellen umgeht, muß sich damit befassen, man
darf ihn nicht in den Irrtum abgleiten lassen, das sei etwas irgendwie
Unschwieriges. Und verstünde er auch nur diese drei Tätigkeiten, er
hätte schon viel mehr verstanden als wenn er nur "Schnittstelle" hört
und sich sonstwas selber dabei denkt. Seiner enormen Kürze zum Trotz
leistet also "Üvi" entscheidend mehr als "Schnittstelle", keine Frage.
Es täuscht nicht Bodenständigkeit vor, wo blanke Abstraktion ist.
4.
Jetzt zum "Modul". Das ist ein Wischiwaschi-Wort, das bei keinem
uneingeweihten Leser irgendeine zutreffende Vorstellung auslöst: er
denkt sich vielleicht was wie Modell oder Bauteil - das war's dann
auch schon, da ist nicht wirklich was mit anzufangen. Aber wir haben
jetzt schon Übung und fragen mal so: Was zeichnet ein Modul aus?
-- Unselbständigkeit, denn es ist stets ein
-- Teil eines größeren Ganzen, und zwar ein
-- Integraler Bestandteil, nicht irgendein wahlloser Baustein, sondern
-- Logistisch optimiert im Zusammenspiel mit anderen Teilen ist er ein
-- Operatives Objekt mit
-- Mehrzweck-Verwendbarkeit.
Na bitte: UTILOM! Da steckt "utilitas" drin, was ja SEHR gut paßt, und
es ist adjektivierbar: utilomar statt modular - auch das ist brauchbar,
und es klingt so angenehm, eingängig, positiv.
5.
Da machen wir gleich weiter mit "Bibliothek". Wo immer es eine noch
so kleine Zusammenwürflung von Dingen gleich welcher Art zu benennen
gibt, da muß "Bibliothek" als Metapher herhalten. So geht es nicht,
das ist entschieden zu hochtrabend. Um was geht es, wenn man dieses
Wort vereinnahmt, was soll man denken dabei? Folgendes:
-- Synergie - das versteht sich wohl von selbst. Es geht um
-- Inhalte - nicht einfach zufällig rumstehendes Zeug,
-- Mehrwert durch Zusammenführung des Zusammengehörigen
-- Logik in seiner Anlage - völlig unentbehrlich,
-- Utilomarer Aufbau (schon bewährt sich unser Neuwort!)
-- Nutzenorientiertes Konzept - nicht L'art pour l'art
-- Gesamtheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile
Hmm, da kriegen wir SIMLUNG. Der Anklang an "Sammlung" ist sehr
gut, aber der lautliche Unterschied ist groß genug, um ganz deutlich
zu machen, daß es nicht dasselbe ist. Wie jedes ...ung-Wort kann man
es wunderbar deklinieren und kombinieren: Simlungsarchitektur,
-funktion, -politik, -konzept; Klassen- und Programmsimlung usw. usf.
6.
Kommen wir zum allgegenwärtigen Wort "Sprache". Kaum ein anderes wird
so leichtfertig entzweckfremdet: Jedes noch so kleine Systemchen von
Befehlen, so krude und kryptisch sie auch seien, stolziert sofort als
"Sprache" daher, das ist wirklich nicht hinnehmbar. Was zwischen
Menschen als Sprache gilt und funktioniert, kann nie und nimmer auf
eine Stufe gestellt werden mit mechanistischen, komplett deterministi-
schen Zeichenkalkülen für Automaten - da liegen Welten zwischen.
Also, was tut eine "Programmier-", "Skript-" oder "Parametersprache"
oder wie auch immer so ein Maschinen-Signalarium genannt wird?
-- Steuern : Vorgänge in erwünschte Richtungen lenken
-- Parametrieren : Daten und Abläufen Form und Gestalt geben
-- Regeln : Daten auswerten, verdichten, in Aktionen umsetzen
-- Abfragen und Anzeigen, Daten zw. Mensch und Maschine übermitteln
-- Codieren : Daten in definierte Form bringen und aufzeichnen
-- Hilfe leisten : Probleme diagnostizieren,
-- Einstellungen vornehmen : Eigenschaften und Funktionen konfigurieren
Grr, das ergibt wieder "SPRACHE", zum Kuckuck!
Zwar haben wir immerhin mit den sieben einzelnen Punkten doch viel
klarer erfaßt, was denn so ein Werkzeug macht und was es nicht macht,
aber wir BRAUCHEN ein ANDERES Wort.
Noch ein Versuch, knapper jetzt:
-- Steuern von Vorgängen mit und abhängig von Daten,
-- Lesen und Ausgeben von Daten,
-- Abfragen, Abarbeiten und Anzeigen von Daten,
-- Normierung aller formalen Aspekte, und das fordert
-- Gute Dokumentation.
Aha, SLANG! Paßt doch viel besser - obwohl es auch wieder eine
Metapher ist. Aber: ein Slang ist ja nie eine vollständige Sprache,
sondern deckt nur Teilbereiche eines Kommunikationssystems ab, hat
aber eine gewisse Konsistenz, Kontinuität und Identität - alles das ist
wichtig und kennzeichnend für eine sog. Computersprache.
7.
Schnell fällt aber auf, daß manche sog. "Sprachen" doch nicht recht
unter diese Decke passen: Was ist mit HTML, XML, CSS, RTF? Die steuern
keine Vorgänge, die lesen und schreiben auch keine Dateien, sondern
sie strukturieren Daten, das ist ihre Hauptaufgabe. Der Oberbegriff
"Slang" deckt dies nicht ab, dafür muß noch ein weiteres Wort her
sonst stecken wir in derselben Falle wie vorher.
Um was genau geht es?
-- Strukturieren von amorphen Datengebilden
-- Auszeichnen der Elemente
-- Markieren wichtiger Stellen
-- Organisieren von Datenmassen
-- Normiertes Kommunizieren
SAMON also! Weit weg von der hier gänzlich verkehrten "Sprache", schön
geheimnisvoll und dadurch Interesse weckend - ideal. Klanglich recht
nah am "Sermon", was ja zwar mit Sprache auch zu tun hat, im Anspruch
aber deutlich engere Konturen zeigt, und das paßt.
8.
Mehr noch als die "Sprache" ist das "System" ein nebulöses Not- und
Füllwort für allzu viel Unverstandenes, gar nicht mal eine rechte
Metapher. Und wie bei der "Sprache" können wir auch das "System" nicht
durch nur ein einzelnes Neuwort ersetzen, zu groß ist der Umfang
alles dessen, was schludrig damit abgefertigt wird. Hier scheint sogar
eine Dreiteilung angebracht: Bei "System" könnte man bleiben für alles,
was ein Erwachsener mit normaler Grundbildung überschauen kann, wie z.B.
das "allegro"-System oder das System der deutschen Orthographie oder
das der abendländischen Philosophie. Erst die letzten Jahrzehnte
brachten Mega-Systeme hervor, die jeden Rahmen sprengen und nach neuen
Benennungen verlangen.
Nehmen wir zuerst solche Gebilde, die für Experten noch überschaubar
erscheinen (ohne es immer zu sein), wie etwa den PC oder ein UNIX-
"System", also etwas irgendwie doch noch Geschlossenes. Was haben wir
damit vor uns? Einen
-- Gesamtkomplex, der
-- Inhalte in sich birgt und mit Slangs und Samonen bändigt,
-- Zappergesteuerte graphische Zugänge dazu bereitstellt und als
-- Mittler zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz die
-- Organisation einer Vielfalt von Aufgaben leistet.
Tja, GIZMO! Das Englische kennt dieses Wort, es ist deutlich weniger
abfällig gemeint als das Küchenschubladen-"Gadget", im Gegenteil sogar
bewußt ohne jeden konkreten Inhalt gemeint, daher ist es frei von
Fehldeutungspotential und warnt zugleich den arglosen Hörer, nicht zu
denken, er verstünde was. Das können wir nehmen.
9.
Zu unterscheiden von Gizmos sind Systeme, die in ihrem Umfang und
ihrer Komplexität NICHT mehr überschaubar sind. Vor allem vernetzte
Großgebilde bis hin zum Internet. Alles kann mit allem in Verbindung
stehen, ohne aber physisch eine wahrnehmbare Einheit zu bilden oder
auch nur irgendwie voneinander zu "wissen".
Solche "Systeme" nutzen
-- Simlungsbasierte Kommunikation mit
-- hochgradiger künstlicher Intelligenz; dafür brauchen sie
-- extrem vielseitige Üvis und
-- netzbasierte Infrastrukturen, die
-- Gizmos als Utilome nutzen. Sie haben zu tun mit
-- fluktuierenden Inhalten und
-- unscharfen Außengrenzen, aber sie
-- integrieren grenzüberschreitend mehr als alles.
Na? SHENGFUI! Fernöstlich im Klang - das ist super - aber ohne vorbe-
lastende Bedeutungsschwere. Das Internet ist ein ShengFui - endlich
haben wir einen Oberbegriff für das sich nirgends Unterordnende, das
sich scheinbar über alle Begrifflichkeit hinaushebende, daher jeder
stets in Bekanntem wurzelnden Metaphorik entwindende Größtphänomen.
Nun heißt's dranbleiben!
Ein Anfang ist gemacht, mehr nicht. Wachsamkeit tut jetzt not im
Alltag, nach und nach muß alles unausgegorene, hochstapelnde, zu kurz
oder mißgreifende Vokabular auf den Prüfstand. Was ist mit Dialog?
Kommunikation? Agent? Assistent? Inhalte? Integration? Intelligenz?
Intuition? Datenbank? Netz? Ressource? Anwendung? Client? Server?
Plattform? Export? Import? FLEX? ... Nicht zuviel auf einmal!
Lassen wir unsere Neuwörter jetzt erst einmal ein- und nachwirken,
sehen wir's als Initialzündung zur Auslösung einer sprachlichen
Katharsis und im Gefolge dann einer Expurgation des Denkens vom
vernebelnden Qualm der falschen und danebenzielenden Anklänge
scheinheiliger Lückenbüßervokabeln.
Ach, eins noch: Wie soll man es nennen, wenn man auf ein unerklärliches
Ärgernis oder ein unverständliches Verhalten stößt - was ja nicht
eben selten ist? Vielleicht ist's nur eine etwas ungünstige Einstellung
irgendwo, eigentlich ganz harmlos, aber vielleicht ist es ja auch ein
Symptom einer ganz komplexen, vielschichtigen Problematik. Mangels
tieferer Einsicht KANN man das von außen nicht erkennen. GANZ schädlich
oder albern wäre hier z.B. eine Metapher, die man so mißverstehen
könnte, als hätte da ein kleines Insekt, eine Wanze vielleicht, im
Innern eines Gizmos ein Bit von einem Byte abgeknabbert oder sowas.
Eine abstruse Vorstellung, auch noch verbunden mit der Suggestion, es
liege Fremdverschulden vor, wenn es doch in Wahrheit fast immer mensch-
liches Versagen (des Programmierers) ist - was denn sonst?
Daß man aber ein Wort als Oberbegriff für die vielerlei undefinierbaren
Unersprießlichkeiten braucht, ist ja klar. Also ans Werk:
Was wirklich hinter einer Mißhelligkeit steckt, das fällt stets
in eine von drei großen Kategorien:
-- Grenzproblem (Überschreitung einer nicht bemerkten oder bedachten
oder für unrealistisch gehaltenen Schranke)
-- Unvollständige Information, z.B. fehlender Hinweis in der Doku
oder kryptische Meldungen, oder auch gar keine
-- Berechnungsfehler (logischer Fehler im Algorithmus)
Prima, schon haben wir's, ein äußerst eingängiges, knappes, aus genau
treffenden Bedeutungen gespeistes, ohne Kenntnisse und Durchblick aber
eben nicht irreführendes (und so soll's ja sein) Neuwort: GUB!
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